Auf und ab und rauf und runter – das Leid mit Urlaubs-Weinen…
Veröffentlicht am Freitag, 22. Aug 2014
Vor wenigen Tagen erreichte uns diese Anfrage per Mail:
Guten Tag,
nachdem Sie viele Fragen und Mythen zum Wein erklären, wollte ich fragen, ob Sie auch eine Antwort auf mir gestern zugetragene und mir nicht plausible Geschichte haben:
Angeblich verdirbt Wein (offensichtlich in grössere Flaschen/Karaffen umgefüllt, mit Schraubdeckel verschlossen), wenn man damit über Pässe fährt, sie also (kurzfristig) grösserer Höhe und somit niedrigerem Luftdruck aussetzt.
In der Praxis sollte das so ausgesehen haben: Im Jugoslawien-Urlaub wurde Wein gekauft, w. o. umgefüllt und mit nach Hause genommen, dabei musste man über diesen oder jenen Pass fahren, um nach Österreich zu gelangen, dort war auf dem weiteren Heimweg ggf. auch noch ein Pass zu überwinden. Zu Hause in Deutschland war der Wein kaputt (angeblich direkt nach der Ankunft,
zumindest aber bei der ersten Verkostung).
Dies war angeblich eine bekannte Tatsache, darum wurden/werden kommerzielle Weintransporte auch um Pässe herum geleitet, so dass diese keine grösseren Höhenunterschiede zu überwinden hatten.
Seit es die Tauern- und den Karanwankentunnel gibt, tritt o. g. Effekt angeblich nicht mehr auf.So gross sind die Höhen nicht, vor allem ist die Einwirkzeit ziemlich begrenzt, so dass ich keine plausible Erklärung dafür habe und die Geschichte als Urban Legend abgetan habe.
Ist Ihnen dieser Mythos bekannt? Kennen Sie eine Erklärung?
Da wir nicht einfach aus der Hüfte schießen wollten und die Geschichte als Urban Legend oder Wein Mythos abtun wollten, obwohl wir dem sehr zugeneigt waren, ging das große Nachforschen und Überlegen los.
Wie verhält sich Wein in der Höhe? Wurde Wein nicht immer schon über die Alpen transportiert? Welche Risiken beim Transport gibt es? usw. usw. All diese Fragen schwirrten uns im Kopf und natürlich suchten wir bei all diesen Ansätzen immer nach einer Verbindung zur ursprünglichen Frage. Sogar einen Dr. der Chemie haben wir zu diesem Thema zurate gezogen.
Nun, dieser Artikel ist das Ergebnis.
Weintransport – ein Blick in die Geschichte
Lange bevor moderne Transportmittel, wie Auto, Zug und Flugzeug, omnipräsent waren, herrschte in Europa reger Warenverkehr. Um von Nord nach Süd zu gelangen, musste ein Hindernis überwunden werden: Die Alpen. Seit jeher sind die Menschen über die Alpen gezogen, zu Fuß, auf Laststieren oder auch in Fuhrwerken und Kutschen. Natürlich reisten nicht nur Menschen über die Alpen, sondern auch viele Waren, darunter selbstverständlich auch Wein. Historische Dokumente belegen, dass Wein ein wichtiges Handelsgut war, dass in großem Umfang vom Süden, vor allem aus Italien, nach Norden transportiert wurde. In der Regel geschah dies in großen Holzfässern, sicherlich gab es aber auch Transporte in Tonkrügen oder Schläuchen.
Da es unter anderem Belege aus dem Jahr 1154 gibt, nach denen Bozener Wein über die Alpen zum Salzburger Klerus gebracht wurde und dieser dort sehr geschätzt war, ist davon auszugehen, dass der Wein damals beim Transport nicht verdarb. Sicherlich waren die Bedingungen damals anders, vor allem die Geschwindigkeit war deutlich geringer, schließlich waren die Wege in schlechterem Zustand und auch die natürlich Geschwindigkeit eines Lasttieres liegt natürlich weit unter der eines PKW. Aber dennoch wurden innerhalb einiger Tage große Höhenunterschiede überwunden und der Wein kam unbeschadet am Ziel an. Der wechselnde Luftdruck scheint sich nicht negativ auf die Qualität des Weines ausgewirkt zu haben.
Temperaturen als Risikofaktor beim Transport
Ein größeres Risiko beim Transport liegt wohl eher in der Temperatur als beim Luftdruck. Wird die Strecke, wie hier im Beispiel genannt, von Jugoslawien nach Deutschland innerhalb von ein bis zwei Tagen mit dem Auto zurückgelegt, ist das Risiko zwar gering, aber vorhanden, denn gewöhnlich ist das ehemalige Jugoslawien vor allem im Sommer ein beliebtes Reiseziel. Bekanntlich sind die Temperaturen südlich der Alpen oft höher als in unseren Breitengraden, ganz besonders natürlich im Sommer. Wird das Auto auf der Fahrt für längere Zeit abgestellt, zum Beispiel während einer Übernachtung, sollte es auf jeden Fall im Schatten geparkt werden, am besten wird der Wein aber herausgenommen und kurz vor der Abfahrt wieder eingeladen. Auf diese Weise sollten die schädlichen Auswirkungen hoher Temperaturen auf den Wein so gering gehalten werden, dass sie sich nicht spürbar auswirken.
Komplizierter wird es, wenn der Wein über einen längeren Zeitraum transportiert oder gar während des Urlaubs im Auto gelagert wird. Im Innenraum eines PKW erreichen die Temperaturen im Sommer schnell Rekordwerte – ein Umstand, den Wein gar nicht mag. Für einen kurzen Moment ist dies sicherlich nicht sonderlich dramatisch, aber bei einem längeren Zeitraum dürften die Auswirkungen durchaus zu schmecken sein oder der Korken schießt aus der Flasche, was dem Auto zwar eine feine Weinnote verleiht, dem Genuss aber nicht gerade zuträglich ist.
Ähnlich verhält es sich im Winter, dort liegt das Problem natürlich nicht bei besonders hohen Temperaturen, sondern eher bei der Gefahr von Frost. Wird Wein im Winterurlaub im Auto oder an einem anderen sehr kühlen Ort gelagert, besteht die Gefahr, dass der Wein gefriert. Zum einen können die Flaschen dabei platzen, sodass die Freude am edlen Tropfen direkt vorbei ist, zum anderen verliert der Wein deutlich an Geschmack. Es gilt also auch während der kalten Jahreszeit auf die Art des Weintransports zu achten, um keine Qualitätseinbußen zu erleben.
Luftdruck und Wein
Über den Einfluss des Luftdrucks auf Wein wurde schon vielfach und intensiv diskutiert. Verändert sich der Geschmack? Oder gar die grundsätzliche Qualität unter veränderten Druckverhältnissen? Diese und viele Fragen mehr wurden bereits untersucht. Das Ergebnis: Grundsätzlich verdirbt Wein bei veränderten Druckverhältnissen nicht. Aus diesem Grund kann er auch problemlos im Flugzeug serviert werden.
Allerdings haben Studien, unter anderem des Fraunhofer Instituts ergeben, dass sich der Geschmack verändert, allerdings liegt das weniger am Wein, sondern eher am Menschen. Bei Druckverlust nimmt das Aromenempfinden ab, sodass Speisen und Getränke anders wahrgenommen werden. Vor allem Salz und Zucker werden weniger intensiv wahrgenommen, Frucht und Säure sind weniger stark betroffen. Wieder am Boden konnten keine Unterschiede zu einer vorherigen Verkostung, die ebenfalls am Boden stattgefunden hat, festgestellt werden.
Ein Experiment, das von fünf Winzern aus Franken durchgeführt wurde, zeigt allerdings, dass Wein in der Höhe langsamer reift als in „normalen“ Lagen. Um dies herauszufinden, brachten sie ein 220 Liter Fass Müller-Thurgau auf die Zugspitze und ließen es dort 100 Tage lang reifen, ein anderes Fass aus derselben Füllung stand in dieser Zeit an seinem Ursprungsort in Kolitzheim. Nach Ablauf der 100 Tage wurde der Inhalt beider Fässer Müller-Thurgau verkostet. Das Ergebnis: Der Wein, der auf Deutschlands höchstem Gipfel lagerte, reifte langsamer als im Tal. Als Grund für den langsameren Reifeprozess wird der niedrigere Luftdruck in der Höhe angenommen.
Beide Beispiele zeigen, dass der Luftdruck also durchaus einen Einfluss auf Wein haben kann. Allerdings ist der Wein bei keiner Untersuchung verdorben. Allerdings sind beide Beispiele in Hinblick auf die Ausgangsfrage etwas hinkend, denn es ging ja nicht um eine einmalige Veränderung des Luftdrucks und auch nicht um eine langfristige Veränderung, sondern um mehrfache Veränderungen in rascher Abfolge. Dennoch deuten beide Untersuchungen darauf hin, dass die eingangs aufgeworfene Frage eher einen Wein Mythos betrifft als ein tatsächliches wissenschaftliches Phänomen.
Einfluss der Umgebung
Der Geschmack wird nachweislich durch die Umgebung beeinflusst. Das ist soweit kein Geheimnis. Wer kennt das nicht: Im Urlaub auf der Terrasse mit Strandblick gab es einen ach so köstlichen Wein, der am nächsten Tag direkt in größerer Menge gekauft werden musste. Wieder daheim auf dem Sofa schmeckt er auf einmal nur noch halb so gut. Ein ganz klarer Beleg für den Einfluss von Umweltfaktoren auf den Geschmack. Die entspannte – vielleicht auch romantische (?) – Stimmung hat dazu beigetragen, den Geschmack des Weines höher zu bewerten.
Eine Studie der Universität Mainz hat diesen Umstand inzwischen wissenschaftlich belegt. 500 Versuchsteilnehmer haben unter verschiedenen äußeren Umständen Wein verkostet und diesen anschließend bewertet. Das Ergebnis zeigte, dass die Teilnehmer der Studie den Test-Wein bei rotem Licht süßer wahrgenommen haben als bei weißem oder grünem Licht und auch die Fruchtigkeit wurde bei rotem Licht höher eingestuft. Damit wurde belegt, dass das Licht in der Umgebung Einfluss auf den Geschmackssinn hat, die Qualität des Weines bleibt allerdings immer unverändert.
Dies wäre ebenfalls ein Erklärungsansatz zur eingangs gestellten Frage. Vielleicht verführte die Urlaubsstimmung zu einem Weinkauf, der bei „rechtem“ Lichte betrachtet keine so gute Entscheidung war.
Und wie lautet nun die Antwort?
Nach allem was wir wissen und in den letzten Tagen in Erfahrung gebracht haben und nach allen Ansätzen, die in diesem Artikel behandelt wurden, halten wir die Geschichte eher für einen Wein Mythos, also eine Urban Legend, als für eine Tatsache.
Natürlich besteht auch noch die Möglichkeit, dass der Wein von vornherein fehlerhaft war. Da von einem „Jugoslawien-Urlaub“die Rede ist und der Tauern- bzw. Karawankentunnel noch nicht existierte, scheint der geschilderte Vorfall schon etwas weiter in der Vergangenheit zu liegen. Ohne jetzt alle damaligen jugoslawischen Winzer über einen Kamm scheren oder ihnen grundsätzlich unehrenhaftes Verhalten vorwerfen zu wollen, wäre es vorstellbar, dass der Urlauber schlicht betrogen worden ist, vielleicht wissentlich, vielleicht auch unabsichtlich. Bei der Verkostung vor Ort könnte schlicht ein anderer Wein angeboten worden sein, als dann in die Karaffen abgefüllt wurde. Eine Variante, die uns nicht vollkommen unmöglich erscheint und eine plausible Erklärung für den „kaputten“ Wein liefern würde.
Wie dem auch sei, einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Wein bei raschen und mehrfach wechselnden Luftdruckverhältnissen verdirbt, gibt es bisher nicht.